Otfried Preußler wurde in einem Interview einmal gefragt, ob er einen Wahlspruch habe. Er antwortete, ohne zu zögern: „Ich lebe gern auf Gottes Welt, und ich arbeite gern. Deshalb lautet mein Wahlspruch: „Dankbar für jeden Tag.““
Ich bin sicher, dieser Wahlspruch trifft auf viele der Tage zu, an denen wir auf den heutigen Festakt hingearbeitet haben, nachdem Sie, sehr geehrter Herr Staatsminister, uns auf Antrag der schulischen Gremien den Namen Otfried-Preußler-Gymnasium Pullach verliehen haben. Arbeit wurde auf den unterschiedlichsten Ebenen geleistet, und das von der ganzen Schulfamilie, um diesen Tag, der ein weiteres Kapitel in der Geschichte unseres Hauses bedeutet, vorzubereiten. Das Ergebnis zeugt von der Freude, die, bei aller Anstrengung, dominiert hat, und deshalb ist es mir ein Anliegen, allen Beteiligten sehr, sehr herzlich zu danken: für engagiertes Eintreten, für kluge Argumentation, für Überzeugungswillen, für Leidenschaft und für die wachsende Kraft der Gemeinschaft auf dem Weg zur Namensfindung und den sich daraus ergebenden Konsequenzen für die künftige Gestaltung unserer Schule. Was wir in mehr als einem Jahr gemeinsam erlebt und bewegt haben, ist ein Fundament, auf dem sich trefflich aufbauen lässt.
Vor wenigen Tagen erst wurde ich anlässlich der externen Evaluation im Schulleitungsinterview gefragt: „Und, was haben Sie mit Ihrer Schule in den nächsten Jahren schwerpunktmäßig vor?“
Ich habe ebenfalls ohne zu zögern geantwortet: Otfried Preußler – ein Programm.
Das Gymnasium in Bayern steht möglicherweise erneut vor Veränderungen, das mag wohl sein. Ungeachtet dessen sind und Aufgaben gestellt, die es zu bewältigen und auszugestalten gilt. Ich denke da an die Forderung, alle Schulen mögen sich ein Schulentwicklungsprogramm geben im Rahmen des Konzepts der „Eigenverantwortlichen Schule“. Im gleichen Zusammenhang sollen Grundsätze einer Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus festgeschrieben werden.
Der Name OP ist schon deshalb ein Schulentwicklungsprogramm im geforderten Sinne, weil er untrennbar verbunden ist mit der ureigensten Kraft jeder Entwicklung des Menschen und seiner Gesellschaftsformen. Gemeint ist die Phantasie, zu der sich Preußler immer wieder geäußert hat. Ich zitiere:
„Ohne die Gabe der Phantasie wäre der Mensch mit all seinem Verstand nicht dazu befähigt gewesen, auch nur eine einzige bahnbrechende Erfindung zu machen, ohne sie auch nur um einen einzigen Schritt auf dem Wege des technischen, des wirtschaftlichen, des kulturellen, auch des moralischen Fortschritts weiterzukommen. Ohne Phantasie keine Liebe in der Welt, aber auch kein Hass, ohne sie kein Edelmut, aber auch kein verbrechen; ohne sie keine Sehnsucht nach dem ewigen Leben, ohne sie keine Todesfurcht.“
Diese Äußerung spannt bereits einen Bogen, der nahezu jedes Unterrichtsfach irgendwo berührt. Abgesehen davon, dass wir uns mit Preußlers Büchern auf den unterschiedlichsten Niveaus im Fach Deutsch beschäftigen können und sollten – ich schließe da die Oberstufe mit anspruchsvollen analytischen und theoretischen Ansätzen nicht aus- trifft sein Werk in unserer Schule auf besonders fruchtbaren Boden in allen Bereichen der Kunst und des darstellenden Spiels. Hier gibt es alte und anspruchsvolle Traditionen, an die wir anknüpfen können. Ein Schwerpunkt, der sich im vergangenen Jahr intensiviert hat, gilt der Geschichte. Wir haben ein beachtliches Zeitzeugenprojekt begründet, in Kooperation mit dem örtlichen Geschichtsverein übrigens. Zusätzlich zu seinem literarischen Schaffen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene hat uns OP Texte hinterlassen, in denen er seine eigene Geschichte beschreibt, die in Teilen hart und schwer zu ertragen gewesen ist. Auch er ist ein Zeitzeuge, man denke an das, was er über Krieg, Gefangenschaft und Vertreibung geschrieben hat, aber auch über Versöhnung und Völkerverständigung. Die 5 Jahre der Gefangenschaft in Russland hat er im Nachhinein mit einem zehnsemestrigen Studium verglichen mit den Schwerpunkten Philosophie, praktische Menschenkunde und dem Erlernen der russischen Sprache. Berührend sind die Aufzeichnungen vor allem wegen der Begegnungen mit Menschen, die man damals gemeinhin als Feine bezeichnete. Ich denke an die Soldatin der Roten Armee, die ihn vor dem Verdursten rettete, die jüdische Ärztin im Lazarett, die ihn gesund pflegte, den Mitgefangenen, der ihm einen Teil seiner Mittagsration abtrat. Er berichtet vom Geschichtenerzählen und vom Theaterspielen im Lager, das ihm und seinen Mitgefangenen das Leben erträglicher machte und die Hoffnung erhielt. Vor wenigen Tagen erst erreichte uns eine Bekanntmachung aus dem Kultusministerium zur Erinnerung an Flucht, Vertreibung und Deportation. Der Aufforderung an die Schulen, ihren Beitrag zur Völkerverständigung in Europa zu leisten, in dem sie Flucht, Vertreibung und Deportation, vor allem aber Versöhnung, zum Thema machen, werden wir sicher gerne Folge leisten. Mögliche externe Partner befinden sich heute unter uns. Die Öffnung nach Europa haben wir durch unsere Teilnahme am Comenius-Programm bereits begonnen und wir wollen diesen Weg weiter entwickeln.
Der vorhin angesprochenen Aufgabe, Eckpunkte einer Erziehungspartnerschaft zwischen Elternhaus und Schule zu formulieren, ist eigentlich im Vorfeld der Namensgebung schon entsprochen worden.
OPs Überzeugungen bezüglich der Verantwortung aller, die an der Erziehung und Bildung von Kindern beteiligt sind, haben unseren Elternbeirat dazu bewogen, einhellig für den Namensgeber zu votieren. Dabei waren und sind sich die Elternvertreter im Klaren darüber, dass er uns alle ganz dezidiert in die Pflicht nimmt und uns mit durchaus unbequemer Kritik konfrontiert. Er verschont weder die Politik, noch die Elternhäuser, nicht die Schule und auch nicht die Medien. Er tritt engagiert ein für das Recht auf Kindheit, gegen die Egoismen der Erwachsenenwelt. Er fordert unsere Zeit und unsere Kraft zum Wohle der Kinder und Jugendlichen, plädiert aber auch für die anstrengende Arbeit der Auseinandersetzung mit ihnen und für die ganzheitliche Bildung und Ausbildung der Generationen, die später einmal Verantwortung für unsere Gesellschaft übernehmen werden. Dabei formuliert er ganz klare Wertmaßstäbe, an denen auch wir Erwachsenen uns zu messen haben.
Preußler mutet in seinen Werken Kindern und Jugendlichen einiges zu, die beschriebenen Welten sind keine heile Welt. Aber stets gibt es – und darauf legt er Wert – die Möglichkeit der Wendung zum Guten. Die für unseren Bildungs- und Erziehungsauftrag unabdingbare und unbedingte Liebe zu jungen Menschen fordert Preußler hartnäckig ein. Zitat: „Unserer Liebe bedürfen sie, unsere Liebe verdienen sie, ohne Wenn und Aber.“ Auf dieser Grundlage wollen wir auch unsere Bemühungen um Inklusion von Kindern und Jugendlichen fortsetzen, die in welcher Weise auch immer daran gehindert sind, ein vollkommen unbeschwertes Leben zu führen. Wir haben derzeit eine Reihe ganz unterschiedlicher Schülerinnen und Schüler mit besonderen Lebensumständen, die wir unterstützen müssen und wollen. Die Bereitschaft dazu ist groß, und sie würde Otfried Preußlers Zustimmung finden, der sich zu Lebzeiten intensiv für Kinder mit Behinderung und schweren Verletzungen eingesetzt hat.
Mit gefällt der Gedanke gut, den die Kinder aus der Klasse 5d uns soeben nahegebracht haben, dass die Figuren aus Preußlers Werken nämlich unbemerkt von Zeit zu Zeit nach dem Rechten sehen. Der Name Otfried Preußlers soll uns in diesem Hause Auftrag sein, auch Verpflichtung, aber in besonderem Maße möge er Ideengeber sein, Phantasieentwickler und warmherziger Begleiter unserer Zusammenarbeit im Otfried-Preußler-Gymnasium Pullach.
In diesem Sinne bin ich dankbar für diesen Tag.
Renate Einzel-Bergmann